„Geschäftsbeziehungen“
Billy Wilders großer Wurf, der sich ewig seinen Platz in der Filmhistorie sicher sein kann, und das ist nicht leicht bei einer romantischen Komödie von 1960. DAS APPARTEMENT ist eine raffinierte, mutige Komödie und eine gesellschaftskritische Tragödie zu gleich. Fließend wechselt das Drehbuch von einem Genre ins andere, um am Ende sein Publikum mit einem lebensechten Happy End in die Realität zu entlassen. Warum ist DAS APPARTEMENT selbst heute noch ein solch anziehender Film? Die Kameraeinstellungen sind einfach gehalten, die Schauspieler spielen hervorragend, aber nie zu improvisiert und der Film handelt zum größten Teil am titelgebenden Ort – gemütlich, aber nichts besonders. DAS APPARTEMENT ist ein Lehrstück für eine simple Idee, die in einem effizienten, aber raffinierten Drehbuch verpackt ist. Regieikone Ernst Lubitsch sagt einmal, und daran hat sich Billy Wilder immer gehalten: „Lass die Zuschauer zwei und zwei zusammenzählen. Sie werden dich ewig lieben.“ Wilder folgt zusammen mit Drehbuchautor I. A. L. Diamond diesem Mantra. Die Liebeskomödie ist jedoch viel mehr als das, sie wagt sich ein Thema anzusprechen, was sich zur damaligen Zeit kaum einer in Hollywood wagte: Selbstmord.
Handlung
New York, die Versicherungsgesellschaft Consolidated Life betreibt einen der großen Bürokomplexe in Manhattan mit tausenden Angestellten. Doch einer fällt auf: C. C. Baxter (Jack Lemmon), den seine Vorgesetzten Buddy nennen. Baxter bleibt unfreiwillig länger im Großraumbüro, um ein paar unbezahlte Überstunden zu machen. Er kann nicht nach Hause, denn der Junggeselle stellt in stetiger Regelmäßigkeit sein Appartement für die obere Geschäftetage zur Verfügung, in der Hoffnung die Karriereleiter schneller als alle anderen hinaufzusteigen. Joe Dobisch (Ray Walston) und Al Kirkeby (David Lewis) nutzen die einfache Unterkunft für ihre Affären. Baxter muss sich solange die Zeit vertreiben. Eines Tages kommt der Anruf vom Oberboss Jeff Sheldrake (Fred MacMurray). Jetzt endlich erhält er die langersehnte Beförderung, doch der Chef hat nur von seinem „kollegialen“ Dienst erfahren und braucht für seine Affäre mit der Fahrstuhlführerin Fran Kubelik (Shirley MacLaine) Baxters Appartementschlüssel. Aber auf Miss Kubelik hatte bereits Baxter ein Auge geworfen. Was ist jetzt wichtiger, Karriere oder Liebe? Aber dann kommt alles ganz anders.
Wohlfühlfaktor Junggeselle
Zu Beginn von DAS APPARTEMENT werden wir gleich von C.C. Baxter in Empfang genommen, genauer gesagt von seiner Stimme. Er stellt uns die Stadt New York und die Firma, in der er arbeitet, vor: ein präzises Uhrwerk von einem Versicherungskonzern mit dessen endlosen Großraumbüros. Selbst die Feierabende sind getaktet, damit die Fahrstühle nicht aus allen Nähten platzen. Sonst wird vom beruflichen Alltag wenig verraten, außer wenn Baxter seinem Schwarm Miss Kubelick gesteht, dass er Zugriff auf ihre Akten hat und erstaunlich viel über sie weiß. Die Begriffe Stalking und Datenschutz gab es 1960 einfach noch nicht, denn man ging vom Guten im Angestellten aus. Baxter ist einer der Guten und stellt seine Wohnung zur Verfügung, natürlich mit den nötigen Karriereoptionen, aber wenn jemand seine Junggesellenbude braucht, vertreibt er sich die Zeit woanders. Es ist eine einfache und gemütliche Behausung. Aber Vorsicht, die Hausverwalterin ist etwas zu neugierig und der benachbarte Arzt bekommt von dem Treiben etwas zu viel mit. So meinen alle Nachbarn zu wissen, was für ein Schwerenöter dort wohnt und Baxter gibt seinem Ruf kein Kontra. Verschwiegenheit ist oberste Priorität.
Das wirft natürlich die Frage auf: Wer ist Baxter wirklich? Karriereorient? Auf jeden Fall, aber was ist er noch? Familie wird nicht erwähnt. Mit einer Beziehung hat es noch nicht geklappt und das Fertigessen vor dem Fernseher verstärkt noch den Eindruck, dass er eine weitere einsame Großstadtseele ist. Wer genau hinschaut und hinhört, erkennt, dass das Drama in den Grundzügen bereits vorhanden ist, auch wenn DAS APPARTEMENT zu Beginn noch alle Anzeichen auf Komödie stellt: Baxter verschiebt mit verschnupfter Nase mit Bravour Termine und springt wie ein Flummi durch die Handlung. Aber er wächst in die Situation hinein. Es scheint so, dass er sich nie wirklich Gedanken darüber gemacht hat, dass zu Affären auch gebrochene Herzen und verletzte Gefühle gehören. Seine Sicht auf den Machtmissbrauch ist dann doch etwas erschreckend naiv, als ob er sich nie Gedanken darüber gemacht hat, wen seine Vorgesetzten in die Wohnung mitbringt. Deswegen verlässt der Film die Wohlfühlzone Komödie in der Filmmitte. Bis jetzt ging alles gut, doch dann geht einiges schief. Das Publikum darf sich nicht nur eine Standpauke vom Notarzt anhören, sondern auch Baxter, denn ein Selbstmordversuch ist nichts, was man verschweigen sollte. Öffentlich wird dann doch recht wenig, aber am Ende findet der Film eine ganz charmante Lösung. Denn Fran ersetzt nicht einfach ihre große Liebe gegen eine andere, sondern erkennt ihre Ausnutzung und geht die nächste Beziehung bodenständiger ein.
Affären
Mit schonungsloser Ehrlichkeit wird in DAS APPARTMENT die Untreue der Geschäftsmänner beleuchtet. Nicht etwa, wenn die Ehefrauen es rausbekommen und ihnen eins mit dem Nudelholz überbraten. Die Ehemänner folgen ihren Trieben, betteln für ihre Liebschaften um jeden Abend in Baxters Wohnung. Ein Hotelzimmer würde zu viel Aufsehen erregen und außerdem ist das hier viel billiger. Baxter sorgt sogar für genügend Alkoholisches. Umso mehr wundert es nicht, wenn selbst Oberboss Sheldrake der Ehe untreu ist. DAS APPARTEMENT geht aber noch tiefer und zeigt, welche schonungslose Routine die untreuen Geschäftsmänner an den Tag legen. Sheldrake treibt mit Fran schon länger sein Spiel und hält sie, dank ihrer naiven Liebe und der Option auf Scheidung, an sich gebunden. Doch Fran ist nicht die erste und so kommt es bei der Weihnachtsfeier zur Aussprache, dass Sheldrake bereits in der Firmenvergangenheit so manche Angestellte um den Finder gewickelt hat. Die Szene wird schön eingerahmt, wenn sich alle mit feucht, fröhlicher Ausgelassenheit auf der Firmenparty in den Armen liegen.
Heute, gut 60 Jahre später, werden vor allem in amerikanischen Großkonzernen penibel darauf gedacht, dass sich keine Beziehungen innerhalb der Kollegschaft bilden. Was natürlich schwierig ist, wenn man ein Drittel seiner Lebenszeit auf Arbeit verbringt und eventuell Single ist. Aber zurück zu Billy Wilders DAS APPARTMENT: die Liebesbeziehungen werden zwar sehr gut beschrieben – sie ist hoffnungslos in den Chef verliebt und er nutzt sie als Flucht vor der Alltäglichkeit aus – aber das Ausnutzen von Machtverhältnissen wird nicht konkret angesprochen. Es sind durchweg Männer im höheren Management, die ihr liebestolles Unwesen treiben. Machtbissbrauche und sexuelle Ausbeutung bekommt erst Gewicht, wenn Baxter den Schlüssel zu den Waschräumen der Chefetage zurückgibt und somit auch den Karrierewillen um jeden Preis fallen lässt. Er geht sogar noch weiter und kündigt seine Wohnung. Erst jetzt gibt es eine Chance auf die wahre Liebe und die kann sogar bei einem Kartenspiel aufblühen.
Schöne Edition fürs Heimkino
Direkt hierzulande ein Medium übersprungen: Von DVD direkt zur Ultra HD Blu-ray. Keine Sorge dem sehr schönen limitierten Mediabook von Capelight Pictures liegt ebenfalls eine Blu-ray bei. Es gibt keinen Grund als Fan von DAS APPARTEMENT an der DVD festzuhalten: Und tschüss! Das Bild des Schwarzweiß-Films ist sauber restauriert und der Ton (Englisch wie auch Deutsch) in tadellosem Zustand. Grundlage bildet das neue 4K Master vom amerikanischen Label Kino Lorber aus dem Jahr 2022. Jedoch ist das Bild auf der Capelight-Scheibe etwas heller geworden, was gut ankommt. Das Filmkorn ist zwar noch zu erkennen, aber nicht so stark wie bei der amerikanischen Ausgabe. Man macht mit der deutschen also nichts falsch.
Außerdem wurde noch ordentlich Bonusmaterial lizensiert wie die Dokumentation: „Magic Time: The Art of Jack Lemmon“ oder „Making-of: Inside the Apartment“. Mediabooks kauft man bekanntlich nicht nur, weil sie im Regal gut aussehen, sondern auch weil sie einen Buchteil bieten. Darin schreibt Ines Walk über die Produktion und Schauspieler. Es ist ein bisschen schade, dass der Markt für Autorinnen in Mediabook-Booklets recht überschaubar ist, wie auch der für Filmkritikerinnen, und es speziell bei diesem Film spannend gewesen wäre, eine umfangreichere feminine Perspektive zu lesen. Die kommt leider bei den 24-Seiten-Buchteil nur auf zwei kurze Seiten mit der Überschrift „Toxische Männlichkeit in DAS APPARTEMENT“. Aber das ist der einzige Kritikpunkt an dieser überfälligen und sehr schönen Filmedition.
Fazit
DAS APPARTEMENT rollt spielend ein ernstes Thema in einer Komödie treffsicher aus. Ohne Effekt ist Billy Wilders Meisterwerk nie, selbst wenn man den Film ein halbes Jahrhundert später zum wiederholten Male sieht. Er klagt etwas an, was selbst heute noch partiell gesellschaftlich geduldet wird. DAS APPARTEMENT ist die beste Art sich dem Thema erneut zu stellen.
© Christoph Müller
Titel, Cast und Crew | Das Appartement (1960) OT: The Apartment |
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Poster | |
Release | seit dem 18.08.2023 im Mediabook (UHD + Blu-ray) und einzeln auf DVD erhältlich. Direkt beim Label bestellen. |
Regie | Billy Wilder |
Trailer | |
Besetzung | Jack Lemmon (C. C. „Bud“ Baxter) Shirley MacLaine (Fran Kubelik) Fred MacMurray (Jeff Sheldrake) Jack Kruschen (Dr. Dreyfuss) Ray Walston (Joe Dobisch) David Lewis (Al Kirkeby) Hope Holiday (Mrs. Margie MacDougall) Joan Shawlee (Sylvia, Kirkebys Freundin) Edie Adams (Miss Olsen) Naomi Stevens (Mrs. Mildred Dreyfuss) Johnny Seven (Karl Matuschka) Joyce Jameson (Blondine mit Dobisch) |
Drehbuch | Billy Wilder I. A. L. Diamond |
Kamera | Joseph LaShelle |
Musik | Adolph Deutsch John Reading |
Schnitt | Daniel Mandell |
Filmlänge | 135 Minuten |
FSK | ab 16 Jahren |